Liebe beneidenswerte Leute mit festem Boden unter den Fuessen,

eigentlich wollte ich diesmal nicht schreiben, denn die Bilder sagen schon alles ueber Chagos aus. Aber ich muss mir etwas von der Seele schreiben und Euch auf´s Auge druecken. Also:

Alles ist verstaut und verzurrt fuer die 1000 nm von Chagos nach Rodrigues (zugehoerig zu Mauritius). Beim richtigen mittaeglichen Sonnenstand kaempft Truant sich durch die Riffe und Korallenkoepfe eine Stunde lang aus dem Atoll. Ich vorne am Bug mit Polaroidbrille, um die Hindernisse besser zu sehen. Die nervliche Anspannung ist so hoch, dass jeder Muskel schmerzt. Und dann sind wir aus dem Pass raus, die Segel werden gesetzt, auf Kurs gehen und durchatmen. Dicke Gewitterwolken ziehen sich  zusammen und wir mogeln uns knapp an ihnen vorbei, so gut es geht. Scheint ein lokales Tief ueber den Chagos-Baenken zu sein, denn die Wetterprognose sagt nichts darüber. Am zweiten Tag ist der Himmel immer noch mit dicken Wolken verhangen. Squalls ziehen ueber uns hinweg mit Winddrehern und Windstille, das heisst Arbeit. Segel rein, Segel raus und hier zippeln und dort. Aber das kennen wir ja.

Am dritten Tag bekommen wir auf 7 Grad Süd den Passat zu fassen, es geht flotter voran, aber die See wird ruppiger und ungemuetlicher. Bei einer Schauerboe reisst eine Naht am hinteren Besansegel. Also runter damit, ist nicht so schlimm, wir kommen auch ohne gut voran. Das Grosssegel ist zweimal gerefft und wenn es mit dem Wind stabiler wird, koennen wir es ausreffen oder bei mehr achterlichem Wind nur mit der Genua (grosses Vorsegel) fahren. Am vierten Tag nimmt der Wind aber weiter zu und die Wellen werden immer hoeher. Es sind keine ruihigen langen Ozeanwellen, die man hoch und runter surfen kann, es sind kurze steile Wellenberge von 4 bis  5  m Höhe, die wild durcheinander auf uns zurollen und uebers gesamte Deck klatschen. Bei einer erneuten Boe reisst beim Einholen die Genua auf 4 m Länge. Na, das war´s.

Die Fahrt ist gedrosselt und Truant schaukelt bei 25 Knoten Wind nur noch mit 3 Knoten wie eine Nussschale durch den brodelnden Ozean. Frustriert beraten wir was zu tun ist. Ich ueberschlage unsere Vorraete, die durch den Aufenthalt in Chargos (ohne Laden) nochmal zusaetzlich geschrumpft sind. Seit Sri Lanka im Februar konnten wir nicht mehr richtig einkaufen und jetzt ist Juni. Es wird ganz knapp, wenn wir nicht an Speed zulegen. An Angeln ist in diesem Albtraum nicht zu denken. Der Wassermacher laeuft auch nicht bei dem Geschaukel. Genua abnehmen und naehen ist unmoeglich bei dem Seegang. Das kleine Kuttersegel ist eher ein Leichtwindsegel, aber Uli versucht es und muss zum Entrollen vorne auf die Refftrommel steigen. Es funktioniert; wir legen an Geschwindigkeit wieder zu. Leider ist der Kurs nach Rodrigues nicht mehr zu halten. Unser neues Ziel Mauritius, gut 300 nm weiter. Das Noch-1000-Meilen-Zaehlen faengt von vorne an.

Dann will auch noch der Windgenerator trotz des kraeftigen Windes von der Seite nicht richtig Strom liefern, den wir fuer den schwer arbeitenden Autopiloten dringend brauchen. Der Honda-Notstromgenerator will auch nicht anspringen, weil die Kraengung zu hoch ist. Uli laesst den Hauptmotor stundenweise leer mitlaufen. Naechstes Problem: Motor zeigt zu hohe Kühltemperatur. Im Seewasserfilter und davor sind dicke Algenblaetter, keine Ahnung, wo wir die eingefangen haben. Raus damit und es geht wieder.

Ich gehe schon lange nicht mehr ins Cockpit vor lauter Angst, dass ich rausfliege. Sehen koennen wir bei den Wellenbergen sowieso nichts und ich will sie auch nicht sehen. Meistens halte ich mich im Bett auf und verdraenge und ziehe mich in meine Welt zurueck, sonst halte ich das alles nicht aus. Der Krach laesst den Kopf droehnen und die Kraefte lassen durch das staendige Festklammern nach. An Schlafen ist da auch nicht zu denken, es sei denn, wir sind total erschoepft, dann nicken wir fuer kurze Zeit ein. Nur jeden Morgen scheint fuer uns kurz die Sonne, dann bekommen wir immer eine email von lieben Freunden, die uns auf See begleiten und denen wir taeglich unsere Position mitteilen. Bei ihnen haengen wir an der Nabelschnur zur Welt, so ist jedenfalls im Moment unser Empfinden. Danke, Udo und Elke!

Von Wetterbesserung ist nichts zu spueren, es scheint noch schlimmer zu werden. Truant ist eher ein auftauchendes U-Boot als ein Segelboot. Wasser dringt ein und zeitweilig muessen stuendlich 30 Liter aus der Bilge gelenzt werden. Wieder ein grosses Fragezeichen. Wo kommt das viele Wasser her? Es kann nur aus dem Ankerkasten kommen. Und tatsaechlich, durch die Ankerkasten-Lueftungen und das Kettenloch kommt See- und Regenwasser rein.  So gut es geht werden die Oeffnungen am Bug mit Putzlappen verstopft. Sowas habe ich in den 8 Jahren Seefahrt noch nie erlebt. Zu den hohen Wellen haben wir jetzt eine Windstaerke von 6-7 Bf. Sieht aus wie auf der Nordsee bei Sturmflut. Alles grau in grau und aufgepeitschte Wasserwaende. Raussehen ist zwecklos; haben den passiven Radarwarner und das AIS eingeschaltet. Tatsaechlich begegnen uns auf der Reise 5 grosse Schiffe.

Die Verpflegung wird zunehmend schwieriger. Mal schaffe ich es etwas auf dem Teller zu servieren, aber meistens essen wir aus Schuesseln (wie im Film im Knast) alles vermatscht und wenn ich Glueck habe, fliegt auch nichts durch die Gegend. Oft bleibt auch die Kueche kalt und wir geniessen Schwarzbrot aus der Dose, das unsere Tochter uns im Februar nach Sri Lanka mitgebracht hatte. Fantasie ist auch gefragt bei der schmalen Verpflegung. Habe Buletten aus Corned Beaf hingekriegt. Schmecken nicht berauschend, aber man kann sie essen. Nach dem Essenkochen bin ich fuer den Rest des Tages platt, soviel Anstrengung kostet es. Und dann falle ich auch schon mal in den Ofen und hole mir einen blauen Hintern und einen gestauchten Finger.

Am 10. Tag auf See wird es etwas ruhiger. Uli ist wieder draussen am Zippeln und ich werde auch wieder munter. Raus schaue ich aber immer noch nicht. Noch haengt der Albtraum zu tief in mir. Am 12. Tag kommt Land in Sicht. Mauritius! Ich koennte weinen vor Freude. Gegen Abend laufen dann zwei abgewrackte Gestalten mit einem mitgenommenen Segelboot in den Hafen der Hauptstadt Port Louis ein. Die Einklarierungsformalitaeten nehmen den Abend und den naechsten Morgen in Anspruch und dann endlich geht's an Land. Ein Steak, ein Bier und ein dickes Eis schmecken himmlisch nach dem langen Entzug. Die Mini-Marina an der schoenen Stadt-Waterfront ist ueberfuellt. In einem Seitenkanal koennte Platz sein. Leinen los und rueber und festmachen und schlafen. Aber warum soll es so einfach gehen, wenn es auch anders geht. Wir laufen auf! Sitzen fest und kommen nicht alleine wieder frei. Das besorgt dann ein Wassertaxi. Gut, dass Truant ein Stahlschiff mit solidem Langkiel ist! Zurueck an der Einklarierungspier hat die Coastguard schnell ein Schild angenagelt "Anlegen verboten!". Was nun? Voellig uebermuedet ist uns langsam alles egal. Und dann hat das Glueck uns wieder eingeholt und nach einer Stunde wird ein Platz frei in der Marina.

Den wilden Toern verdraenge ich, will erstmal nicht drueber reden. Aber jetzt tue ich es und mir geht es besser. Auch die Prellungen verlassen mich langsam ueber rotblau und gruen zu gelb und nachts schlafen wir fast wieder durch. Die Temperaturen verwoehnen uns mit winterlichen 26 Grad am Tag und 22 in der Nacht. Eine Erholung nach den Tropen. Noch ein oder zwei Wochen, dann ist die Ueberfahrt verblasst und  neue Routen koennen geplant werden.

Ahoi, bis zum naechsten mal