Liebe Familie, liebe Freunde,

wir haben uns endlich von den Urlauberstroemen getrennt und das Abenteuer winkt. Seglerfreunde auf 6 Booten haben uns mit einem "Troet-Konzert" aus dem Hafen von San Sebastian/Gomera geleitet. Ich muss schlucken vor Ruehrung.

Die nächsten 7 1/2 Tage auf kabbeliger See mit hohen Wellen sind ein Vorgeschmack auf die spätere Atlantikueberquerung. Bei Ankunft in der Nacht muessen wir durch eine enge Passage mit Duese und guter Welle und laufen erst mal in eine geschützte leere Bucht vor dem Hafen von Mindelo auf Sao Vincente ein. Fix und fertig, todmuede, nur noch schlafen. Frueh morgens weckt uns die Coastguard, wir sollen in den Hafen von Mindelo zu gehen. Mir wird beim Einlaufen ganz flau im Magen, denn der Hafen ist voller ankernder Segelboote, die wie sich spaeter herausstellt an einer Regatta nach Brasilien teilnehmen wollen. Es ist das erste Mal, dass ich in solch einer Enge am Ruder stehe, die Knie schlottern. Neben uns paddelt ein Mensch in einem demolierten gruenen Sperrholzboot. Er spricht mich dauernd an, gestikuliert und macht mich noch nervoeser. Ich kann nicht ausmachen, ob es sich um einen alten Mann handelt oder ein Kind.  Nachdem der Anker gefallen ist, kuemmern wir uns um die Person. Es ist doch ein junger Mann, aermlich gekleidet mit einem total ausgemergelten Koerper. Sein Name ist Sydney, sagt er und ist 15 Jahre alt und ab sofort unser Bootsboy. Vielleicht braucht man so einen hier, um unversehrt, ohne beklaut zu werden, durchzukommen? Wir muessen dringend telefonieren weil unsere Freunde aus D hier in Kap Verden eintreffen wollen und ich steige also zoegernd in sein durchloechertes Ruderboot. Sydney begleitet mich durch die Stadt und ist sehr behilflich. Ich selbst bin viel zu aufgeregt, um die Leute zu verstehen. Ganz alleine in Mindelo, das durch einen bekannten deutschen Segelschriftsteller einen schlechten Ruf hat. Gut, das Sydney bei mir ist und alles regelt. Ein Bettler deutet an, dass er Hunger hat. Ich gebe ihm ein paar Münzen und Sydney nimmt ihm die Haelfte wieder ab. Er und der Bettler meinen beide zufrieden, das reiche fuer eine gute Mahlzeit. Ich komme ins Gruebeln.

Sydney ist unser Mann fuer alles! Er nimmt den Muell (der wohl sehr begehrt ist) in Empfang und sortiert ihn aus; er passt spaeter, wenn wir an Land sind, auf unser Dinghi auf, und wenn er keine Zeit hat, delegiert er es an Freunde, die er von unserem Lohn bezahlt. Von uns bekommt Sydney je nach Arbeitsanfall Geld und ich verwoehne ihn nebenbei mit Schokoriegel und Obst, Sachen, die er vorher noch nie gegessen hat. Es ist schrecklich, wenn man mit ansehen muss, wie arm die Menschen hier sind. Viele leben wie Sydney auf der Strasse, verrichten ihre Notdurft am Strand und kochen sich ihr Essen in verrosteten Konservendosen. Und trotz alledem sind die Leute supergut drauf. Sie lachen sich ueber alles scheckig und sind bei jeder Gelegenheit am tanzen, ob es beim Warten vor der Telefonzelle ist oder beim Einkaufen. Sie sind schoen anzusehen dabei mit ihren einfachen aber bunten Klamotten. Das Leben pulsiert. Ein paar Einkaufsmoeglichkeiten und einen grossen Fischmarkt gibt es. Mindelo gefaellt uns mit seinen bunten Haeusern, seinen Plaetzen und seinen kleinen Lokalen.

Unsere deutschen Freunde haben wir telefonisch bisher nicht erreichen koennen und in ihrem Hotel auf Sao Antao kennt man sie nicht, obwohl sie dort gebucht haben. Uns bleibt nichts anderes uebrig, als rueber zu segeln. Gegen Abend landen wir dort in einer aeusserst schwelligen Bucht vor dem Fischerdorf an der Westküste von Sao Antao an. Beim Ankermanoever sehen wir unsere Freunde am Strand winken und sind erleichtert. Der Anker sitzt und was machen unsere Freunde? Sie gehen weg vom Strand. Was soll das!? Na gut, es ist kurz davor dunkel zu werden und der Schwell haelt uns davon ab mit dem Beiboot noch ueberzusetzen. Morgen ist auch ein Tag.

Der Schwell hat sich nicht gelegt, aber wir versuchen an Land zu kommen. Uli kommt am Kiesstrand gut raus, nur ich sitze bis zur Huefte im Wasser. Nicht so tragisch, Hauptsache das Beiboot ist nicht umgeschlagen. Die Fischer helfen uns, das Dinghi schnell an Land zu ziehen und sie weisen uns den Weg zum kleinen Hotel. Es ist wunderschoen am Strand gelegen, im Hintergrund ein riesiges Felsmassiv, das man nur mit Vierradantrieb oder per Pferd oder Esel ueberwinden kann. Ein unbefestigter Weg fuehrt ins Dorf. Im Hotel sind unsere Freunde nicht zu sehen und man sagt uns, Gaeste solchen Namens gaebe es dort nicht. Sollten wir uns so verguckt haben? Im Garten des Hotelchens steht ein Kuehlschrank und obendrauf liegt ein Heft. Neugierig schlage ich es auf und entdecke, dass darin angeschrieben wird, wer was getrunken hat. Da gibt es dann einen Herrn M., der ganz viele Striche hinter seinem Namen hat und nun ist es fuer uns klar, er wohnt doch hier mit seiner Frau. Aber warum sind sie nicht im Hotel, sie haben uns doch gestern abend gesehen!? Wir vertreiben uns die Zeit im Doerfchen, werden in der Schule der Klasse kurz als fremde (ausserirdische?) Wesen vorgestellt, schauen zu wie ein Schwein geschlachtet wird, unterhalten uns hier und da und haben immer wieder eine Traube Menschen um uns. Der Hafenkapitaen (auch wenn es keinen Hafen gibt, nur diese Mini-Bucht) laedt uns zu sich nach Hause ein, aber mit Schiffspapieren bitte. Das kommt leider nicht in Frage, denn ein zweites Anlegemanoever mit dem Dinghi werden wir uns nicht antun. Das sieht er ein. Mein Rucksack mit Luftballons, Lollys und kleinen Spielzeugautos leert sich. Mittags zieht es uns wieder zum Hotel. Keine Spur von Familie M. und wir essen ein Sueppchen, das uns die Koechin zubereitet hat. Noch ein Spaziergang und am spaeten Nachmittag wieder zum Hotel. Zwei Gaeste erzaehlen uns von einem Paerchen, das auf seine Freunde mit einem Segelboot wartet. Also sind es tatsaechlich R. und H.. ......und dann treffen sie ein und sind total von den Socken uns zu sehen. Sie haben unser Schiff im Gegenlicht der untergehenden Sonne gesehen aber nicht erkannt. Und im uebrigen haben sie jedem Segelboot zugewunken!

Unsere Freunde werden am naechsten Morgen samt Klamotten und dem 35 kg schweren Wassermacher aus Deutschland von Fischern uebergesetzt. Alles bleibt trocken und die Fischer erhalten ihren Lohn in Fressalien. Wir segeln ueber Santa Lucia, einer unbewohnten Insel, gemeinsam rund um Sao Vicente zurueck nach Mindelo. Kommen noch gerade so mit einem Unwetter in den Hafen. Windstaerke 8 noch im Hafenbecken, Schiffe gehen durch, wir kriegen die Nacht kein Auge zu. Sydney ist am Morgen zur Stelle und bewacht fuer die naechsten Tage TRUANT. Er schlaeft im Cockpit. Wir fahren mit der Faehre nochmal rueber nach Sao Antao, der schoensten Wanderinsel von Cabo Verde. Ein Traum von einer Insel. Steile gruene Haenge, Wasserfaelle und Strassen, die oben auf den Bergkaemmen lang fuehren. Wir vier machen bei sengender Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit eine Wanderung auf Pfaden, wo kein Auto mehr hinkommt. Die Doerfer sind grau in grau und sehr aermlich. Nur die Schweine haben es gut. Sie wohnen ausserhalb der Orte in ganz gepflegten betonierten Staellen nebeneinander, die aussehen wie Reihenhaeuser. Von weitem koennte man annehmen, es handelt sich um ein kleines Ressort.

Die Zeit zu viert laeuft ab. Unsere Freunde muessen wieder heim. Wir bleiben noch 2 Wochen in Mindelo und fuehlen uns schon heimisch. Warum der schlechte Ruf dieser Stadt? Der Inhaber einer kleinen Charterbasis erzaehlt, dass der bestohlene Segelschriftsteller hier fein gekleidet mit Goldkettchen herum gelaufen sei - etwas zu verlockend. Sydney wuenscht sich zum Abschied ein Zeugnis in deutscher Sprache von uns, damit er die Moeglichkeit hat, bei anderen Booten Bootsboy zu sein. Wenn es mehr nicht ist und dazu noch ein paar Escudos lassen ihn gluecklich sein. Wir denken noch lange ueber seinen Wunsch nach. Bei uns waere niemand mehr nur mit einem Zeugnis zufrieden. Schwer nehmen wir Abschied in Richtung Sao Nicolau. In der Bucht vor Tarrafall liegen GROTE BAER und BEAGLE, hollaendische Seglerfreunde.

Bei der Inselbesichtigung stellen wir fest, dass hier alles verwahrlost ist. In Tarrafall wollen wir in einem Restaurant Kaffee trinken, muessen aber wieder gehen, weil in Sekunden der Tisch so mit Fliegen uebersaet ist, dass man von dem Tisch nichts mehr sieht. Mit den Kakerlaken sind wir schon per Du, so oft begegnen wir ihnen an Land. Hier faellt der Abschied leicht. Am 4.12. brechen wir auf in Richtung Karibik. Eine weite Reise von 2000 Meilen, auf der wir Zeit haben, Cabo Verde zu verarbeiten. Man sagt, entweder liebt man es oder man hasst es. Ich komme zu dem Schluss, ich liebe es, trotz der Fliegen, Kakerlaken, der Armut. Die Menschen sind es, die es mir angetan haben mit ihrem Lachen und ihrem Tanzen.

Mal sehen, was uns hinter dem "Grossen Teich" erwartet.

Bis denne, liebe Gruesse