Hi, Ihr Lieben zuhause,

die liebliche Insel Mauritius mit Familienanschluss liegt in der Ferne. Unsere zwei jungen Freunde Arnaud und Yues haben wir mit einem weinenden und einem lachenden Auge verlassen. War eine sehr schoene Zeit mit ihnen. Nun ist Reunion, die geheimnisvolle, mystische und wilde Insel dran, erkundet zu werden. Eine Insel mit bis zu 3070 m hohen Bergen mit wunderschoenen Wanderwegen, Klettersteigen und Ausblicken, einfach fantastisch. Eine Woche kurven wir mit einem Leihwagen die Serpentinen der Steilwaende hoch und runter.

In meinem Hinterkopf waechst derweil mein Geburtstagswunsch. Eine Reise nach Madagaskar ohne Truant, mit Flieger. Bei der dortigen Armut wuerde unsere stolze alte Lady nur abgewrackt werden und das geht nicht. Also auf ins Reisebuero. Gebucht wird Nosy Be, eine kleine fuer Touristen erschlossene Insel im Nordwesten von Madagaskar. Natuerlich wollen wir nicht dort bleiben, buchen aber erstmal und alles andere wird sich vor Ort finden.

Der Flieger geht ab St.Denis/Reunion, ca. 80 km von der Marina in St. Pierre entfernt. Mit dem Bus reisen wir einen Tag vorher an, er braucht geschlagene 3 Stunden. Hoteluebernachtung und am naechsten Tag in Ruhe zum Flugplatz. Mit unserem kleinen Gepaeck  sind wir flexibel. Beim Verlassen des Fliegers nach 1 Stunde und 30 Minuten Flugzeit ist wieder die tropische Hitze zu spueren, die wir auf den Maskarenen (Mauritius und Reunion) schon vergessen hatten. Aber es ist trockene Waerme, die im Schatten recht angenehm ist. In unserer gruenen Hoteloase in Nosy Be laesst es sich also wunderbar aushalten. Sie liegt direkt am Strand und duftet koestlich nach Ylang Ylang Baeumen, deren Blaetter als Parfuemgrundstoff dienen. Daher traegt Nosy Be auch den Namen Parfuem-Insel. Es ist keine Saison und so gehoeren uns 80 Bedienstete fast alleine. Ausserhalb des Hotels spuert man die Armut des Landes und oft streifen strenge Gerueche an der Nase vorbei. Nichts fuer empfindliche Menschen.

Kurz ruhen wir uns aus, geniessen das schoene Hotel-Himmelbett samt Moskitonetz und gehen auf Erkundungstour, wie wir am besten einen Teil vom Festland Madagaskars kennenlernen koennen. Mit dem Motorroller ueber Nosy Be und 2,3 Mio. Ariary im Rucksack wird alles mit einem "Freund" des Hotel-Tourexperten geregelt. Der Geldpacken loest sich schnell in Luft auf.  Ob wir die Leute mit unserem Geld jemals wiedersehen?? Ja, der "Freund" holt uns morgens um 7 Uhr tatsaechlich vom Hotel ab. Rein in einen klapprigen R4 und los zum Hafen, der vor Reisenden und Lungerern wimmelt. Da stellt der "Freund" uns seinen "Freund" vor, Marcello, der uns als Guide auf der ganzen Reise begleiten soll. Zusammen mit 10 Locals  erreicht die PS-starke Piroge nach 30 Minuten das Festland und eine Traube Menschen stuerzt sich auf uns. Jeder will sich als Gepaecktraeger verdingen, um ein paar Groschen zu verdienen. Bei unseren kleinen Rucksaecken ist leider nichts zu holen.

Das versprochene Auto ist nicht da! "Mora mora" meint Marcello, was auf malegassisch soviel wie "langsam langsam wird schon" bedeutet. Na ja, so bleibt Zeit, die Menschen zu beobachten und sich etwas einzufuehlen. In dem Gewimmel sitzen Frauen mit kleinen Kindern auf Decken und bieten Obst zum Verkauf an. Gerueche, mal gute und mal schlechte ziehen  durch die Luft. Wir wandern von Schatten zu Schatten, um der beissenden Sonne zu entgehen. Nach 2 Stunden schon kommt ein fast neuer Toyota-Pickup mit Vierradantrieb. Das Abenteuer beginnt gleich auf der einzigen "Strasse" in Richtung Norden. Der junge Fahrer Anaklee spricht nur malegassisch und faehrt wie ein Henker auf diesem mehr als schlechten Flurbereinigungsweg. Wir fliegen hoch und runter, hin und her und Uli fragt dezent Marchello, ob denn wohl schon viele Kinder auf dieser Strecke totgefahren wurden. Na ja, der Fahrer muss Zeit reinholen wegen seiner Verspaetung. Er faehrt im naechsten Ort an eine Tankstelle, aber es gibt kein Benzin. Erst 50 km weiter in der nächsten Stadt wird er fuendig. Wir haben ein wenig Zeit rauszuschauen und sehen lachende, aufrechte, stolze aber sehr arme Menschen.

Dann reitet Anaklee im Affenzahn weiter ueber die Schlagloecher und laesst sich auch von unserem Guide Marcello nicht zuegeln. Nur wenn er einen grossen Gecko oder ein Chamaeleon entdeckt, tritt er voll auf die Bremse. Hat gute Augen und ist doch irgendwie nett. Im Buschland, dem ersten Natur-Reservat, biegen wir unsere Wirbelsaeulen wieder gerade und marschieren erleichtert hinter der Parkfuehrerin Claudia her und bestaunen die so fremdartige Welt. Ulis Bilder sagen alles.

Unsere erste kleine Uebernachtungshuette steht im Dorf der Einheimischen. Wir schlafen am Boden auf einer traditionell mit Kabok gefuellten Matratze und Moskitonetz drueber. Hinter dem Vorhang ist eine Dusche und eine Toilette mit Wasser und Schoepfkelle zum Spuelen. Fuer uns verweichlichte Fremde stehen zwei Stuehle vor der Huette. Rein passen sie nicht mehr. Herrlich! Am Abend riecht es nach Holzfeuer und im Busch werden einige Tiere munter. Mangels Elektrizitaet liegen wir frueh in der Falle und die Ohren tauchen ab in die Welt Afrikas. Alles erinnert mich an den Filmklassiker "Die Goetter muessen verrueckt sein" und nun sitzen wir mitten drin. In der Ferne singt sogar einer"Bowdowdow....". Morgens gegen 5 Uhr sind wir wach und verfolgen, wie Bewegung ins Dorf kommt. Das Zentrum des Lebens, der Brunnen, steht direkt vor unserer Huette. Mich beruehrt dieses fremde Leben und in mir breitet sich ein Gluecksgefuehl aus. Ein Leben ohne Ablenkung. Ohne Ablenkung? Die Maenner laufen mit dicken Wangen herum. Sie kauen den ganzen Tag Katy-Blaetter. Es  versetzt in einen leichten Rausch und man sagt den Blaettern nach, dass sie auch eine Wirkung wie Viagra haetten. Deshalb also die vielen kleinen suessen Kinder. Der einzige Rausch unserer Zivilisation ist ausser Alkohol leider die Glotze, weshalb sie wohl langsam ausstirbt. :-)

Im naechsten Natur-Reservat, einem Dschungel, haben wir einen Biologieprofessor Philip als Guide. Auch er zeigt und erzaehlt uns viel ueber die Natur. Die Natur ist so ueppig und die Wasserfaelle sind ein Gedicht, dass man nicht glaubt, noch in Madagaskar zu sein. Eben noch duerre Savanne und nun saftiger Regenwald. Die Zuwegung zu diesem Nationalpark wuerde bei uns nicht mehr als befahrbar gelten. Aber das ist Madgaskar und wird uns immer in Erinnerung bleiben.

Nach den Reservaten und den anstrengenden Jeepfahrten meint es Marcello gut mit uns und schwaermt von der Hafenstadt Antsiranana, die er uns zeigen moechte. Und von einem "tollen Hotel" mit Dusche, Spiegel usw. - richtig fuer Europaer. Unsere Luxusherberge entpuppt sich als drittklassige Absteige, aber unser Zimmer ist sauber und ich kann keine Kakerlake sichten. Auf dem Hotelflur begegnen mir ein paar weisse, sehr abgewrackte aeltere "Herren". Bin ich hier in Thailand? Aber Thailand scheint fuer die "weissen alten Herren" ueberall in armen Laendern zu sein. Was soll´s, so ist das Leben!

Richtig duschen, kaemmen vor dem Spiegel, die Klamotten wechseln und los in ein europaeisches Restaurant. Natuerlich extra fuer uns ausgesucht von Marcello. Und dann erleben wir wieder die Situation wie schon vorher in einigen anderen armen Laendern. Marcello und Anaklee waren noch nie in solch einem Lokal und wollen woanders essen. Wir reden auf sie ein und es dauert, bis sie kapieren, dass wir sie einladen wollen. Nun wird richtig zugeschlagen und nachts traeumen sie noch weiter von dem zarten Zebufilet mit Pfeffersosse und Nachspeise. Wo sie in der fuer uns schrecklichen Hafenstadt uebernachtet haben, haben wir nicht rausgefunden. Jedenfalls nicht in unserem Hotel.

Wir hatten einen schoenen und interessanten Abend zusammen, an dem wir uns ungestoert unterhalten konnten. Irgendwie kamen wir, wie soll es auch anders sein, auf den Glauben der Madagassen zu sprechen. Marcello erzaehlt, dass im Land offiziell alle Religionen vertreten sind, Die kosten nichts und bringen Abwechselung  ins Leben. Hier ein Festchen, dort ein Ritual. Aber im Grunde ihres Herzens sind sie Animisten geblieben. Fuer sie ist alles in der Natur goettlich und die eigene Mutter der oberste Gott. Sie gibt das Leben und sie ist der Mittelpunkt der Familie. Der Vater taucht irgendwo unter ferner Liefen auf. Hoert sich gut an, oder?

Etwas ganz besonderes haben sich die Zwei fuer uns noch ausgedacht, naemlich den Besuch eines Canyons mit "Geisterfelsen", den Tsingies. Siehe Ulis Fotos. Einmalig auch wieder die Anfahrt in dieses Gebiet. Mir bleibt buchstaeblich die Spucke weg bei den staubigen engen Hohlwegen. Ab und an kommt ein Auto entgegen und in Millimeterarbeit schieben wir uns aneinander vorbei.

Meine armen Knochen! Auf der zuegigen Rueckreise wieder durch alle Schlagloecher. Ich weiss nicht mehr, wie ich sitzen soll. Also Pause und Picknick. Ein alter Mann kommt mit dem Fahrrad den Berg runter und hat Bisquit zu verkaufen. Wir nehmen ein Paeckchen und ich schenke ihm obendrauf noch eine leere Glasflasche. Ein wertvolles Geschenk, in dem er Honig abfuellen will. Froehlich ob des guten Tagesgeschaefts tritt er in die Pedalen und entfernt sich rasch.

In Richtung Faehranleger wird die Strasse besser und Anaklee ist wieder in seinem Element. Trotzdem sind wir nicht zur vereinbarten Zeit am Anleger. Die bestellte Schnellfaehre ist schon lange weg. Wir sind nun im Warten wieder geuebt und hoffen, noch vor der Dunkelheit rueberzukommen nach Nosy Be. Mora mora... Ein anderer Bootsfuehrer erbarmt sich unser, alle muessen zusammen ruecken und los geht´s. Die See ist ziemlich unruhig und wir trumpfen bei jeder Welle auf wie auf Beton. Meine Knochen sind am Ende!!! Bald liege ich vorne zwischen dem Gepaeck.  Marcello sagte noch, ich solle mich ganz nach hinten setzen, aber da war ja schon alles besetzt! Erstaunlich leichtfuessig kann ich aber am Ziel an Land gehen. Diese Tortur nach 550 km auf Madagaskars Strassen inkl. zweimal Speedboat ist offensichtlich besser als 4 Wochen Wirbelsaeulen-Kur .

Die Hotelangestellten haben uns freudig empfangen. Wahrscheinlich haben sie geglaubt, dass wir die Zeche prellen wollten, denn unsere ganze Habe war in unserem Rucksack und das Zimmer leer. Am letzten Ruhetag ist an Ruhe ist nicht zu denken, Madagaskar spukt in meinem Kopf. Die tollen Erfahrungen, die Gerueche, die Menschen, die Landschaften, die Tiere und Pflanzen und vor allem die Kinder. Ein Traum von mir ist in Erfuellung gegangen . Zum Abschied schenkt uns die Hotelbesitzerin einen Baobab-Baum, handgefertigt aus Blech getrieben mit angeschweissten kleinen Aesten obendrauf. Wir sind geruehrt und happy.

Eingeschwebt in St. Denis/Reunion kann ich doch tatsaechlich meinen Baobab vom Laufband nehmen, er durfte wegen seiner gefaehrlich spitzen Zacken nicht in die Fluggastkabine. Das ist nicht selbstverstaendlich, denn auf Nosy Be bettelten uns sogar die Immigration-Beamten um Geld an (statt die Scanner zu reparieren). Da das Taxi zurueck nach St.Pierre 230 Euro kostet, wollen wir den Bus am naechsten Tag nehmen und fragen einen jungen Mann wie wir ins Stadtzentrum kommen zum Hotel. Da es gerade regnet, quetscht er uns samt Rucksaecke in sein Auto und waehrend zwei weitere weibliche Mitfahrer uns so gut wie eben moeglich aus schmalen Burkaschlitzen kritisch beaeugten erzaehlte er stolz von seiner Heimat Mayotte. Im Hotel erkennt uns der Nachtportier von der Hinfahrt wieder und prompt erlaesst er uns 20 € vom Preis. Und am naechsten Tag in St.Pierre angekommen, sehen wir wohl so erschoepft und mitleiderregend aus, dass der Baecker zwei Croissants Wegzehrung spendiert. Na bitte, auch in Europa gibt es nette Leute!

Eure zwei abgetakelten und knochenmaessig durchnummerierten Truanten