Liebe Familie, liebe Freunde,

unser Heimweg liegt vor uns. Ade St. Helena - natuerlich ohne Kartoffeln. Stattdessen muessen Kartoffelpurree-Dosen nun herhalten. Haben uns fuer die Abfahrt wieder ein Wetter fuer Rentnersegeln ausgesucht. Alle Segel stehen in leichter achterlicher Brise und Ascension duerfte bald erreicht sein. 

Sind den 3. Tag unterwegs und sehen in der Abenddaemmerung ein komisches, ganz helles Gebilde direkt voraus. Koennte eine Bohrinsel sein, da sie laut AIS-Kennung keine Fahrt macht. Nur noch 2 Meilen entfernt bewegt sich das "Ding" doch und nimmt genau in unsere Richtung Fahrt auf. Unter voller Besegelung aendern wir unseren Kurs um 30 Grad nach Steuerbord. Da bleibt das "Ding" wieder stehen, dreht sich einmal um die eigene Achse und nimmt erneut Kurs direkt auf uns zu. Mittlerweile ist es ganz dunkel und wir meinen beim Naeherkommen erkennen zu koennen, dass es sich um ein grosses Fischerboot handelt. Im Kopf ueberschlagen sich die Fragen. Was wollen die? Mein Herz klopft mir aus dem Hals und das Atmen faellt schwer. Piraten? Wohl nicht, da die kaum eine AIS-Kennung einschalten würden. Mein Skipper bleibt ruhig und ruft das Schiff über Kanal 16, keine Antwort. Ich kriege die Anweisung ans Ruder zu gehen, der Autopilot wird rausgenommen. Es faellt zwischen uns kein ueberfluessiges Wort. Die Angst schnuert mir sowieso die Kehle zu. Es kommt naeher und ist tatsaechlich ein ganz grosser Fischtrawler, ein Fabrikschiff aus Taiwan. Oh Gott, die versenken uns. Vor mir baut sich eine Wand auf, die halten weiterhin Kurs auf unseren Bug. Im allerletzten Moment gibt mein Skipper den Befehl zur Halse und wir entkommen so haarscharf dem Heck des Trawlers. Der ist so nah vor uns, dass ich die Gesichter der asiatischen Crew sehen und sie sprechen hoeren kann. Drei Besatzungsmitglieder rennen auf die Bruecke. Unsere Vermutung ist, dass der Steuermann entweder unter Drogen steht oder betrunken ist. Mein Skipper macht geistesgegenwaertig noch ein Foto. Auf Kanal 16 hinterherzuschimpfen traut er sich nicht, es koennte die Typen erneut provozieren. Zunaechst sitzen wir aber erstmal sprachlos im Cockpit. Bei mir faengt das grosse Schlottern an, die Nerven! Der Kurs wird wieder aufgenommen und nach langem Schweigen faellt uns ein, dass diese Unart ja tagsueber mit kleinen Fischerbooten in Asien betrieben wird. Aber wie gesagt, nur mit kleineren Booten und nur tagsueber, nie nachts. Sie schnippeln fremde Schiffe um die boesen Geister loszuwerden, sie sollen ueberspringen. Vielleicht war der bedoedelte Steuermann geistig so weit weg, dass er dachte, er ist auf einer Dschunke in Asien. 

Die Weiterreise verlaeuft ruhig ohne weitere Zwischenfaelle. Aufgrund des guten oestlichen Kurses beschliessen wir kurzerhand Ascension zu vergessen und legen einen neuen Wegepunkt auf die Kapverden an. Aus dem "Rentnersegeln" wird "betreutes Rentnersegeln". Kaum noch Wind und wenn dann von vorn, Strom auch leicht gegen uns. Wir sitzen alles aus, denn unsere Truant hat nur begrenzten Diesel fuer diese lange Tour. Also geniessen wir die Ruhe, machen es uns gemuetlich und sehen, wohin uns der Wind fuehrt. Wegen der Gegenströmung liegt der Wendewinkel bei 180 Grad, nachts wird Truant auch mal zurückgetrieben. Mal geht es etwas in Richtung Norden, dann wieder nach Suedamerika oder in die andere Richtung nach Afrika. Und in Richtung Afrikaküste wollen wir nun ganz bestimmt noch nicht, denn die Piraterie hat sich vom Horn von Afrika nach Guinea verlegt. Nach Conakry und umrum. Also muessen wir 300 Seemeilen von der Kueste entfernt bleiben. Noch einen "Ueberfall" kriege ich nicht hin. Hab schon jetzt jedesmal das Schlottern, wenn in der Nacht waehrend meiner Wache ein Fischerboot in unsere Naehe kommt. Panisch wecke ich dann den Skipper. Dabei braucht der Arme auch ein paar Stunden ungestoerten Schlaf.

So troedeln wir nun im Schritttempo ein letztes mal ueber den Aequator und weiter. Nach nun 4 Wochen auf See schaelt sich heraus, dass wir die Kapverden verpassen werden. Den Kurs auf Dakar könnten wir vielleicht gerade halten. Warum nicht Dakar? Waren noch nicht da. Und dann stehen wir nach 34 Seetagen nachts vor der grossen Bucht von Dakar mit seinen vielen Ankerliegern. Grosse Schiffe kommen und gehen und man sieht sie erst sehr spaet im Zwielicht der hellbeleuchteten Stadt. Es ist anstrengend und die mueden Augen gaukeln einem manchmal was vor. Es "riecht" nach Land. Unsere Nasen sind diese Gerueche nicht mehr gewohnt. Die halbe Bucht haben wir hinter uns und gerade die Segel geborgen, da gibt es Motoralarm. Was ist nun schon wieder!? Der Keilriemen ist gerissen, ist uns in den 10 Jahren noch nie passiert . Das ist natuerlich in unserer Lage mal wieder ganz schlecht. Ohne Segel und Motor nennt man das manoevrierunfaehig. Und das in diesem Schiffsverkehr. Motorraum auf, Skipper legt eine heisse akrobatische Nummer hin und wechselt den kompliziert liegenden Keilriemen ueberkopf in 30 Minuten aus, was sonst gern zwei Stunden dauert. Ich darf die Lampe halten und an draussen denken wir einfach nicht.  Abgesehen von den geprellten Skipper-Rippen hat uns trotz Gehupe keiner versenkt, wir nehmen wieder Fahrt auf und schlaengeln uns durch bis zum Ankerplatz. Der Anker faellt morgens um 5 Uhr, als gerade der Muezzin zum ersten Gebet ruft. Und wir fallen ins Bett am 35. Seetag. Neuer Rekord - zwischen Galapagos und den Marquesas waren es "nur" 30 Tage.

Nach Madagaskar, Suedafrika, Namibia und verschiedenen afrikanischen Inseln hat Afrika uns schon wieder. Senegal, das urspruengliche Afrika mit seinem bunten prallen Leben. Mit seinen ueberfuellten Strassen und den abertausend Geruechen, mit seinen lebenslustigen Menschen und der ueberall herrschenden Armut. Fuer uns Europaer ist letzteres schwer zu verkraften. Von der Lebenslust lassen wir uns anstecken und schauen ueber den Verfall der unter grauem Wuestensand liegenden maroden Grossstadt Dakar hinweg. Ist eben Afrika, das ganz arme Afrika, ohne Apartheit. Weisse Menschen trifft man kaum an. Im kleinen Segelclub, vor dem wir ankern, geht man sehr liebevoll mit uns um. Ueberall sind helfende Haende. Man erklaert uns die Einklarierungsmodalitaeten. In 3 Tagen sollten wir es hinkriegen war die Meinung. Da kennen die die Deutschen schlecht. Kreuz und quer sind wir durch diese riesige Stadt Dakar unterwegs. Fuenf Anlaufstellen in weit entfernten Stadtteilen muessen abgearbeitet werden. An einem einzigen Tag haben wir es geschafft und dabei gleichzeitig ein Gefuehl fuer die Stadt bekommen. Im Segelclub hat man uns gefeiert und beklatscht.

Per Taxi und zu Fuss wird die 2,5 Mio-Stadt und ihre Umgebung nach und nach erkundet. Es macht Spass, unterwegs immer wieder in ein Gespraech verwickelt zu werden, immer wieder kleine lustige Sachen zu erleben. Abends sitzen wir im Club-Restaurant auf der Terrasse bei einem Bier und fuehlen uns zuhause mit den vielen netten neuen Freunden. Vier Wochen sind wieder im Fluge vergangen und wir muessen Abschied nehmen. Noch ein gemeinsames Essen mit "unseren Senegalesen", Austausch von Geschenken und tausend Bussis und wir verlassen nun endgueltig das Festland von Afrika. Abschiednehmen ist immer ganz schrecklich.

Aber die naechste Etappe wartet. Die Kapverden sind nicht weit weg und gern hätten wir  erfahren, was aus unserem Boatboy Sydney in Mindelo nach 10 Jahren geworden ist, aber wieder bestimmt der Wind den Kurs. Es geht zunächst bei Leichtwind direkt nordwaerts entlang der mauretanischen Küste, dann oberhalb der Kapverden in weitem Bogen und stuermischer Fahrt nordwestwaerts. Nach 3 Wochen Seezeit stehen wir vor der ersten Azoren-Insel Faial und der Stadt Horta. Ueber Funk melden sich unsere schwedischen Seglerfreunde, die schon warten und uns mit dem Beiboot in den Hafen geleiten. Sie sind von St. Helena ueber Brasilien und die Karibik nach hier gesegelt. Welch eine Wiedersehensfreude nach ueber einem Jahr. Bei ihnen an Bord wartet auf uns ein ueppiges zweites Fruehstueck. Es gibt viel zu erzaehlen. Damit aber nicht genug, abends muss ein richtiger Schwede Mittsommernacht feiern. Das ist gerade heute und wir muessen mit. Europa empfaengt uns gleich mit dem richtigen Stress.

14 Tage verbringen wir auf der wunderschoenen Insel Faial. Das Staedtchen Horta gleicht einer Puppenstube. Ein Kontrastprogramm zu Dakar. Der sogenannte Massentourismus ist hier noch nicht angekommen. Mit einem Leihwagen gehen wir wie ueblich auf Erkundung. Alle Strassen sind mit Hortensien gesaeumt. Ein Gedicht, einfach ein Bluetentraum. Skippers Geburtstag wird in einem wunderschoenen kleinen Restaurant im Nordosten der Insel gefeiert. Die Adresse wurde uns zugefluestert und liegt total versteckt, deshalb heisst es auch "Restaurante o Esconderijo" (Das Versteck). Endlich mal wieder richtige Steaks, 3 cm dick, zart und lecker zubereitet von einem Landsmann von uns. Nach den mit Tuechern abgeteilten Garkuechen auf den Strassen von Dakar (die auch was fuer sich haben!) kommen wir uns hier vor wie bei Koenigs. Alles ist mit Liebe eingerichtet auf den Terrassen am Hang im eingewachsenen Wald, jedes Detail stimmt und die Stimmung ist einzigartig.

Wir nehmen wieder Abschied und segeln nach Sao Miguel, Ponta Delgada, der Hauptstadt der Azoren. Die Marina liegt mitten in der Stadt. Sehr angenehm, alles ist schnell erreichbar, der Supermarkt ueber der Strasse. Nur mehr Tourismus, davon lassen wir uns aber nicht abhalten, mieten uns wieder ein Auto und ab geht die Post. Diese Insel ist groesser und ganz anders als Faial, auf ihre Art aber ebenso wunderschoen und auch Hortensien-ueberwuchert. Uns zieht besonders die schoene Altstadt von Ponta Delgada an. Es wird viel geboten auf den freien Plaetzen in der Stadt. Konzerte, Folklore, Musikfestivals. Alles kostenlos und wohl alle Einheimischen sind jeden Abend auf den Beinen. Dann bekommen wir eine email von Freunden aus Porto Santo, die auch gerade mit dem Segelboot unterwegs sind in den Azoren. Sie waren die Ersten vor ueber 10 Jahren, die wir kennen gelernt hatten und nun werden sie die letzten Freunde sein, die uns verabschieden. Also nochmal den Abfahrtstermin verschieben. Haben beim Essen viel zu erzaehlen und am naechsten Morgen loesen sie uns die Leinen vom Steg.

Nun geht es in Richtung Festland von Europa. Langsam kommt Melancholie auf. Ein angekuendigter Levante (Ostwind) bei Gibraltar treibt uns zunaechst nach Rota/Andalusien in eine sehr teure Marina. Ein paar Tage verbringen wir in dem alten schoenen Staedtchen, bis der Wind wieder passt. Die verkehrsreiche Strasse von Gibraltar wird bei Nacht passiert und laesst uns kein Auge zumachen. Und dann sind wir wieder im Mittelmeer. Vertraute Kueste, kein Ozeanschwell mehr und die Freude, es bald geschafft zu haben. Einklarieren beim Hafenmeister in Almerimar, der sich an uns noch erinnert und Leinen fest am endgueltigen Liegeplatz.  War ein harter Trip die letzten 7 Monate, der uns gesundheitlich ein wenig zugesetzt hat. Keine Land-Muskeln mehr bzw. verhaertete See-Muskeln, d.h. Kraempfe und Sehnenschmerzen. Wir ueben nun taeglich an Geraeten auf einem Kinderspielplatz, um wieder festlandstauglich zu werden. 

Irgendwie macht sich Wehmut breit. Wir koennen uns nicht entschliessen, Truant zum Verkauf anzubieten. Warum eigentlich? Ist doch ein schoenes Hausboot fuer uns in Spanien. Vielleicht segeln wir auch irgendwann mal wieder los? Oder auch nicht! Man weiss nie! Bei euch allen bedanken wir uns fuer eure Treue, ist nicht selbstverstaendlich. Viele Segler haben die Kontakte nach Deutschland verloren. Wir verabschieden uns und werden die spanischen Tapas mit Bier geniessen und es uns gemuetlich machen in unserer Stammkneipe, bevor es zum Probewohnen nach Deutschland geht.

Adios Amigos,
eure Truanten auf dem Trockenen


Nachtrag
: Truant 2 ging 2017 in neue Hände und wird auch weiter Blauwasser-segeln.