St. Helena
British Crown Colony
Walvis Bay nach St.Helena
Geschlagene 15 Tage dauerte die Überfahrt bei wenig oder zeitweise gar
keinem Wind. Der Unterwasser-Spinnaker (Motor) war wegen Kühlproblemen nicht
einsetzbar. Die Ursache (Wasserkammer-Verschluss im Auspuffsammler) konnte erst
am Zielort beseitigt werden. Dafür versüßte ein kristallklarer mondloser
Sternenhimmel die langen Nächte. Im Bild der (fast Neu-)Mond mit Venus kurz vor
Sonnenaufgang.
Die einsame Insel
mitten im Südatlantk, 2000 Meilen von Kapstadt und Brasilien entfernt, sehen
wir mit ihren über 800m hohen Bergen schon am Vorabend des Landfalls. Vor dem
Schwachwind mehrfach halsend schleicht TRUANT näher.
Früher brauchten die Schiffe St.Helena, heute braucht St.Helena die Schiffe
Zu Zeiten der Indienfahrer wurde die lange geheimgehaltene 17x10km messende
Vulkaninsel erst von Portugiesen, dann Holländern und Engländern als wichtiger
Zwischenstopp zur Proviant- und Wasseraufstockung genutzt. Bis zu 1500
Großsegler jedes Jahr, bis das Dampfschiff und der Suez-Kanal kamen. Heute sind
die Insulaner froh, wenn das Versorgungsschiff ca. 50 mal pro Jahr aus Kapstadt
eintrifft. Und ein paar Segler.
James Bay
und die kleinere benachbarte Ruperts Bay an der offenen Nordwestküste sind die
einzigen Anlandestellen. Erst mal sehen wir nur rotbraunen Felsen. Sollten wir
stromgetrieben doch schneller gefahren und auf Helgoland gestrandet sein?
Estrella und Steve, Immigration und Customs Officer, kommen mit einem klapprigen
Wassertaxi (hurra, kein Börteboot) an Bord und heissen uns herzlich willkommen
im Namen der 4500 Saints, wie die Einwohner sich nennen.
Jamestown
zwischen 2 Felsen eingequetscht ist die Hauptstadt, eine von 3 Ansiedlungen auf
der Insel mit jeweils etwa 1000 Menschen. Für 1 Helenisches Pfund pro Person
und Fahrt (gleich Britischem) bringt das Wassertaxi uns an den Anleger, im Bild
rechts unten. Der schwellgetaktete Sprung an Land will geübt sein. Das eigene
Beiboot bleibt besser verstaut.
TRUANT auf Reede
Da die durchfahrenden Segler immerhin ein Drittel des jährlichen
Tourismus-Aufkommens ausmachen, hat die Inselverwaltung tief in die Tasche
gegriffen und im vorletzten Jahr 25 Mooringbojen an der Westseite der James Bay
installiert. Abgesehen vom leichten Dauerschunkeln und gelegentlichen Fallböen
liegt man hier bei den vorherrschenden SE-Winden sicher.
Hier muss alles durch.
Das "Main Gate" zur Innenstadt ist einspurig wie überhaupt alle
Straßen auf der Insel. Draussen liegt gerade das Versorgungsschiff, die RMS
Helena, und wird über Schuten entladen. Statt sonst 80-100 Container bringt sie
diesmal nur 43. Alles wird teurer und die bescheidenen Gehälter und Pensionen
aus London reichen nicht mehr.
Die Main Street
An manchen Tagen wie ausgestorben, an anderen wimmelt es und alle Parkplätze
sind besetzt - besonders wenn gerade neue Ware ankommt. Wir haben schon ein
schlechtes Gewissen beim notwendigen Einkauf größerer Lebensmittelmengen
für die Weiterreise. Aber man weiss sich vor gefräßigen Touristen zu
schützen und so gibt es Eier und Kartoffeln meist nur im Hinterzimmer.
Das Consulate Hotel
ist das älteste am Platze und kultureller Mittelpunkt. Neben Restaurant, Bar,
Kino im Innenhof und Aussenterrassen gibt es auch einen WiFi-Hotspot. Der
einzige Internet-Provider "Sure" ist mit 8 Euro die Stunde, kurzer
Verfallszeit und unterschlagenem Logout-Button (Guthaben läuft ab!) keinesfalls
seriöser als eine deutsche Telekom. Mobilfunk gibt es noch nicht auf der Insel.
Als Segler-Treff
am Rand des hübschen Castle Gardens bezeichnet sich das Restaurant im gehobenen
Schrebergarten-Outfit "Anne's Place". Frühere Besucher vor Joshua
Slocum wie Charles Darwin oder Francis Drake wussten sicher komfortabler zu
speisen. Es sei denn, sie hatten sich widerstandslos an die Englische Küche
gewöhnt.
Die Saints
sind entspannt und immer gut drauf. Jeder kennt jeden, ein kurzes Schwätzchen,
und selbst die schleichenden Autofahrer (20 miles/h) grüßen winkend jeden
Fußgänger, uns eingeschlossen. Der englische Dialekt ist schwer zu verstehen,
aber mit viel Lachen und Strahlen lässt sich alles überbrücken. Die Zeitung
informiert über Lokales in gutem Englisch, erscheint aber nur wöchentlich.
Die reichhaltige Geschichte St.Helenas
wird in diesem Museum liebevoll veranschaulicht und dokumentiert. Wie etwa die
Fallstricke der beiden zuletzt vor 100 Jahren hingerichteten Sträflinge,
vergebliche Versuche Pfeifentabak anzubauen oder die vorbildliche Rolle der
British Navy bei der Enterung verbotener Sklavenschiffe. Links oben neben dem
Museum und unten die 699-stufige "Jacobs Ladder" für schwerere
Sünder, einst als Schienenweg zum Oberland genutzt. Unten rechts vermutlich ein
Gästehaus, falls Her Majesty mal kommen sollte.
Auf geht's
die engen gewundenen Straßen und Spitzkehren. Aufwärts hat Vorfahrt und zur
Rush Hour nachmittags muss man als Absteiger Geduld mitbringen. Unterwegs zeugt
die Botanik von der Seefahrerzeit: Bougainvillas und Frangipani neben gemeinen
Nadelhölzern. Den Wappenvogel St.Helenas "Wirebird" (wegen
seiner spindeldürren Drahtbeine) bekamen wir nicht zu Gesicht.
Das Oberland
Nun sind wir uns ganz sicher, nicht auf Helgoland zu sein. Bildhübsche Farmen
auf sanften Hügeln mit Blick auf saftig grüne Weiden und den blauen Ozean in
allen Himmelsrichtungen. Das Klima ist prima (wenn es nicht gerade stürmt) und
dank guter Erde könnte hier alles prächtig wachsen für die Eigenversorgung
der Bevölkerung. Aber statt mühsam die Hügel zu traktoren beschränkt man
sich auf etwas Viehwirtschaft. Viele Wanderwege durchziehen diesen einzigartig
großen Englischen Garten.
Festungen zeugen von der umkämpften Vergangenheit.
Fruchtbarer Boden, Gemüse für den Eigenbedarf
Rindviecher auf schrägen Schleichpfaden
Esel vor majestätischem Felsklotz (The Barn im Nordosten)
Napoleons Exil
Bekanntlich lieben sich Engländer und Franzosen seit jeher auf besondere Weise.
So ist es nicht verwunderlich, dass das Empire den Waterloo-Looser auch noch 2
Jahrhunderte nach seinem Ableben süffisant vermarktet. Obwohl sein Leichnam
samt Original-Hausrat längst wieder an der Seine weilt. Aber wer hätte ohne
diesen Bonaparte jemals von St.Helena gehört?
Im Longwood House
oben zwischen den Hügeln lebte er von 1815 bis zu seinem Tod 1821, im Nebenhaus
noch 2 Generäle als Spielkameraden und in Jamestown seine 28-köpfige
Entourage. Das heute schmucke Haus war seinerzeit ratten- und termitenverseucht,
die Luft in den Zimmern arsengeschwängert. So verbrachte der Zwangspensionär
die meiste Zeit im selbstentworfenen Garten.
Hoffnungsloser Fall
Die englischen Bewacher wollten ihm den verdienten Ruhestand auch sonst so
angenehm wie möglich machen, legten rundum einen englischen Rasen an, ließen
ihn beim Exerzieren zuschauen und bauten ihm eigens für den 5-o'clock-tea ein
begrüntes Teehäuschen (oben rechts). Es half alles nichts. Sein Blick aus dem
Fenster galt nur den kommenden und gehenden Segelschiffen.
Letzter Zeitzeuge
dieser Ära soll ein gewisser Jonathan sein (links unten), wohnhaft im Garten
des Insel-Gouverneurs und seines Zeichens immer noch lebendige Landschildkröte.
Das wird die kleine heile betuliche Welt verändern
Lange für unrealisierbar gehalten, in dieser unebenen Landschaft einen
Flughafen zu bauen, versuchte man doch vor ca. 10 Jahren den ersten Spatenstich.
Bis 2015 wird nun mit Hochdruck eine Jet-taugliche Landebahn aufgeschichtet und
betoniert, dann dürfen die Touristen massenweise einschwärmen ohne 5-tägige
mühsame Schiffsreise.
Gemischte Gefühle
Unter den Saints vor dem Tourist Office wird der Airport durchaus kontrovers
beurteilt, aber die große Mehrheit sieht dem hoffnungsvoll entgegen. Die Alten
kümmerts nicht mehr und die Jugend sieht eine Perspektive für die Zukunft. Wir
sind jedenfalls froh, noch gerade ein bisschen von der guten alten Zeit auf
dieser einsamen Insel erlebt zu haben.
Mit Klein-Bonaparte im Gepäck rüsten wir für die nächste Passage, die etwas
länger dauern kann - je nach Rasmus' Gusto.